Nihon Kobudō

Heute und ehedem

Unter dem Oberbegriff nihon-kobudō 日本古武道 versteht man gemeinhin die „Alten Kampfdisziplinen Japans“. In Europa und im angloamerikanischen Raum bekannter jedoch ist die Bezeichnung koryū-bujutsu 古流武術, zu übersetzen mit „Kampfkünste nach alter Überlieferung“. Gemeint sind damit Kampfkunstrichtungen, die vor der Meiji-Restauration im Jahre 1868 entstanden sind. Dem gegenüber steht das gendai-budō, die „Modernen Kampfdisziplinen“. Viele dieser verhältnismäßig jungen budō-Arten – wie etwa Jūdō, Aikidō und Kendō – formierten sich um die Wende zum 20. Jahrhundert bzw. in späterer Zeit.

Vor der Modernisierung Japans wurden die Kampfkünste weniger anhand ihrer Ausrichtung (Schwertkampf, Ringen, Bogenschießen etc.) im Sinne heutiger budō-Arten kategorisiert. Vielmehr wurde zwischen verschiedenen Stilrichtungen (ryūha) und deren Provenienz unterschieden. Im Laufe der Jahrhunderte bildeten sich komplexe Stammbäume aus. An deren Wurzel stand in der Regel ein herausragender Meister mit der von ihm gegründeten Stilrichtung. Diese wurden meist von Vater zu Sohn weitergegeben. Es entstanden familiengebundene Erblinien, die über viele Generationen hinweg Bestand hatten. Von diesen Hauptlinien zweigten sich Nebenlinien ab, deren Initiatoren wiederum eigene Stilrichtungen ins Leben riefen Viele dieser Schulen befassten sich nicht ausschließlich mit einer einzigen Kampfmethode, sondern hatten Techniken mit unterschiedlichen Waffenarten sowie Methoden des Nah- und Distanzkampfes im Repertoire.

In Japan ist die Mehrzahl der heute noch existierenden Stilrichtungen den Dachverbänden Nihon Kobudō Kyōkai („Gesellschaft für Alte Kampfdisziplinen Japans“) und Nihon Kobudō Shinkōkai („Gesellschaft zur Förderung der Alten Kampfdisziplinen Japans“) angegliedert. Damit eine Stilrichtung von diesen Verbänden als authentische koryū anerkannt wird, muss eine Vielzahl von Kriterien erfüllt sein. Daneben gibt es andere ryūha, deren Historizität zwar belegt ist, die jedoch keiner der vorgenannten Vereinigungen angehören.


Nihon Kobudō im Shinmyōkan

Die im Shinmyōkan praktizierten Stilrichtungen werden heutzutage den übergeordneten Bereichen des koryū-jūjutsu („Nahkampf nach alter Überlieferung“) und des koryū-kenjutsu („Schwertkampf nach alter Überlieferung“) zugeschlagen: Die Nahkampfschule Tenjin Shinyō-ryū stellt die Fortführung der zu Beginn des 17. Jahrhunderts gegründeten Yōshin-ryū dar, die ihrerseits nicht mehr existiert. Unter Einflussnahme der Tenjin Shinyō-ryū entstand das frühe Kōdōkan Jūdō. Das Ryūsuikai Aikibudō ist streng genommen nicht als koryū zu kategorisieren. Es beruft sich jedoch auf die Tradition der Daitō-ryū, die wiederum als klassische Richtung des nihon-kobudō gilt und die Entwicklung des Aikidō angestoßen hat. Die im ausgehenden 16. Jahrhundert ins Leben gerufene Schwertkampfschule Onoha Ittō-ryū brachte einen eigenen Stammbaum mit zahlreichen Zweigen hervor. Ihre Nebenlinien trugen maßgeblich zur Entstehung des modernen Kendō bei.


Unterschied zum Gendai Budō

Die Übung von nihon-kobudō unterscheidet sich von der des gendai-budō. Um nur einige Aspekte zu nennen:

  • Im Zentrum des Trainings steht die Übung festgeschriebener Kampfszenarien in vorgegebenen Abfolgen (kata-geiko). Wettkämpfe, wie sie vielfach den modernen Kampfsport prägen, werden nicht durchgeführt.

  • Rangsysteme unter Verwendung von kyū-/dan-Graden gibt es nicht. Jede Stilrichtung verfügt über ein spezifisches Graduierungsprogramm, das auf der Vergabe von Befähigungszertifikaten und Schriftrollen beruht. Das Erreichen eines Grades kann mitunter mehrere Jahre oder Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

  • Die traditionellen koryū-Schulen sind streng hierarchisch organisiert. An der Spitze stehen nicht mehrere unabhängige Meister, sondern ein Schuloberhaupt (sōke, shihanke). In der Regel ist dies der Stammhalter jener Familie, innerhalb der die Stilrichtung tradiert wurde.

  • Tradition gilt als Eigenwert: Historische Schriftstücke (densho) und mündliche Überlieferungen (kuden) verfügen über hohe Relevanz. Die Praktizierenden einer Stilrichtung verpflichten sich zur Loyalität gegenüber dem Schuloberhaupt und zum diskreten Umgang mit den Lehrinhalten (kishōmon).